Instituts- und Personengeschichte der Neutestamentlichen Wissenschaft an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien
1. Profil
Das Institut für Neutestamentliche Bibelwissenschaft stellt sich heute als Institution dar, die sich thematisch breit und in engem Dialog mit Forscherinnen und Forschern aus aller Welt mit den Zeugnissen des frühen Christentums und deren Kontexten beschäftigt.
Der Beginn der neutestamentlichen Wissenschaft an der Protestantisch-Theologischen Lehranstalt stand hingegen unter dem heute eigenartig anmutenden Vorsatz, dass die Exegese nicht nach Altem und Neuem Testament getrennt war, sondern nach „augsburgischer“ bzw. „helvetischer“ Konfession. Gegen die Wünsche der Kirchenleitungen bestand Kaiser Franz I. selbst auf dieser Regelung, da man sich davon versprach, Studenten aus beiden konfessionellen Richtungen für das Studium in Wien gewinnen zu können. Diese Doppelbesetzung verbunden mit der Bedingung, dass in der Gründungsphase nur Angehörige des Kaiserreiches Professoren werden durften, führte zu einer engen Auswahlmöglichkeit.
Für die lutherische Seite wurde ohne größere Schwierigkeiten am 4.1.1821 der gebürtige Siebenbürger Johann Georg Wenrich (1787–1847) berufen, Rektor des evangelischen Gymnasiums A.B. in Hermannstadt. Er war ein hervorragender Orientalist und tat sich u.a. in der Erforschung von Sanskrit und in der Arabistik hervor, mit dem Neuen Testament beschäftigte er sich allerdings nicht. Die Besetzung des reformierten Exegese-Lehrstuhls zog sich länger hin, da es an geeigneten Kandidaten mangelte. Erst am 21.11.1822 wurde Johann von Patay (1778–1854), Prediger in Szepsi in der heutigen Slowakei, berufen, wobei er mehr eine Notlösung war. Sein Wirken bis zu seiner vorzeitigen Pensionierung 1850 blieb ohne nachhaltige Spuren.
Knapp vor der Umwandlung der Lehranstalt in eine Fakultät im Oktober 1850 wurden die exegetischen Professuren entkonfessionalisiert, sodass ein alttestamentlicher und ein neutestamentlicher Lehrstuhl etabliert wurden. Letzterer wurde allerdings zweimal erfolglos ausgeschrieben. So versah der Kirchengeschichtler Johann Carl Theodor Otto (1816–1897) für zehn Jahre auch die neutestamentliche Lehre. Immerhin lag sein Forschungsschwerpunkt in der apologetischen Literatur des 2. Jahrhunderts.
2. Lehrstuhlinhaber
Carl Albrecht Vogel Ritter von Frommanshausen
Carl Albrecht Vogel Ritter von Frommanshausen
Der Dresdener Carl Albrecht Vogel (geb. 10.3.1822 in Dresden, gest. 11.9.1890 in Wien), der 1861 auf den neutestamentlichen Lehrstuhl berufen wurde und bis zu seinem Tod 1890 an der Fakultät wirkte, war vor allem als Kirchengeschichtler durch Mittelalterforschungen bekannt, exegetisch aber wenig interessiert. Letzteres findet sich lediglich als Forschungsbeitrag zur altlateinischen Bibelübersetzung zum Buch Ezechiel und dem Sprüchebuch. Vogel wirkte stark in der evangelischen Kirche A.B. bzw. als Prediger und wurde 1883 in den Ritterstand erhoben.
De Bonizonis episcopi Sutrini vita et scriptis, Jena 1850; Ratherius von Verona und das zehnte Jahrhundert, Jena 1854; Peter Damiani, Jena 1856; Beiträge zur Herstellung der alten lateinischen Bibel-Uebersetzung, Wien 1868.
Paul Hermann August Ewald
Paul Hermann August Ewald
Der aus Sachsen stammende Paul Ewald (geb. 13.1.1857 in Leipzig, gest. 26.5.1911 in Erlangen) war nur von 1890-1894 Professor an der Wiener Fakultät. Er hatte in Leipzig über Ambrosius promoviert und ebendort auch seine Habilitation zum Gewissensbegriff im Neuen Testament vorgelegt. Ewald war der erste echte Neutestamentler auf diesem Lehrstuhl. Sein Forschungsansatz war durchwegs konservativ. In seiner Arbeit zur Entstehung der Evangelien, mit der er zeigen wollte, dass das Johannesevangelium als Ergänzung zu den synoptischen Evangelien zu lesen sei, legte er sich u.a. mit H.J. Holtzmann an. In seiner Erlanger Zeit (1894–1910), wo er auch als Dogmatiker wirkte, entstanden Kommentare zu den Gefangenschaftsbriefen des Paulus, die in der exegetischen Tradition von Th. Zahn stehen. Auch die Frage nach dem Verhältnis von biblischem Zeugnis und dogmatischer Lehre beschäftigte Ewald.
Der Einfluß der stoisch-ciceronianischen Moral auf die Darstellung der Ethik bei Ambrosius, Leipzig 1861; De vocis suneideseos apud scriptores novi testamenti vi ac potestate: commentatio et biblico-philologica et biblico-theologica, Leipzig 1883; Das Hauptproblem der Evangelienfrage und der Weg zu seiner Lösung. Eine akademische Vorlesung nebst Exkursen, Leipzig 1890; Über das Verhältnis der systematischen Theologie zur Schriftwissenschaft, Erlangen/Leipzig 1895; Der Brief des Paulus an die Epheser, Kolosser und Philemon, KNT 10, Leipzig 21910; Der Brief des Paulus an die Philipper, KNT 11, Leipzig 31923.
Karl Rudolf Benno Knopf
Karl Rudolf Benno Knopf
Der aus Schlesien stammende Rudolf Knopf (geb. 26.10.1874 in Biala, gest. 19.1.1920 in Bonn) hatte zunächst in Wien studiert, ging dann aber nach Berlin, wo er 1898 promovierte. 1900 wurde er in Marburg bei Johannes Weiß habilitiert, mit dem er eng verbunden blieb. 1907 erfolgte der Ruf nach Wien, von wo Knopf 1914 nach Bonn wechselte. Sein früher Tod brach seine erfolgreiche Karriere leider ab. Knopf verstand sich als Vertreter einer liberalen Theologie. Sein wesentliches Forschungsinteresse war neben einzelnen Beiträgen zur Textkritik vor allem die Spätzeit des frühen Christentums, das er unter religionsgeschichtlichen und soziologischen Perspektiven untersuchte. Seine zahlreichen Kommentare zeigen, wie akribisch und um Klarheit bemüht er Exegese betrieb. V.a. seine Geschichte des „Nachapostolischen Zeitalters“ sowie die „Einführung in das Neue Testament“ waren lange Zeit hoch geachtete Standardwerke. Im Gefolge der religionsgeschichtlichen Schule stehend bei gleichzeitig öfters konservativen Einzelpositionen verstand er es, die Ergebnisse historisch-kritischer Forschung auch einem breiten Publikum zu vermitteln.
Der erste Clemensbrief, untersucht und herausgegeben, TU.NF 5,1, Leipzig 1899; Ausgewählte Märtyrerakten, SQS 2,2, Tübingen 1901 (41965); Das nachapostolische Zeitalter. Geschichte der christlichen Gemeinden vom Beginn der Flavierdynastie bis zum Ende Hadrians, Tübingen 1905; Die Briefe Petri und Judä, KEK 12, Göttingen 71912; Die Apostelgeschichte, Die Schriften des NT 3, Göttingen 31917; Einführung in das Neue Testament. Geschichte und Religion des Urchristentums, STö 1,2, Gießen 1919; Die Lehre der zwölf Apostel. Die zwei Clemensbriefe, HNT Erg.1, Tübingen 1920.
Paul Feine
Paul Feine
Paul Feine (geb. 9.9.1859 in Golmsdorf bei Jena, gest. 31.8.1933 in Halle) studierte klassische Philologie und Theologie in Jena und Berlin. Mit seiner Arbeit über den Jakobusbrief, in dem er für die Echtheit des Briefes argumentierte, erwarb er 1893 den Lic. theol. in Göttingen, wo er sich im selben Jahr habilitierte. 1894 wurde er als ordentlicher Professor nach Wien berufen. 1907 folgte er dem Ruf nach Breslau, wo er Nachfolger William Wredes wurde, 1910 wechselte er nach Halle. Feine ist insbesondere für seine Einleitung in das Neue Testament bekannt. Sein Forschungsansatz war konservativ. Zum synoptischen Problem vertrat er die Zweiquellentheorie und datierte ein Urmarkus-Evangelium in die 40er Jahre. Den 2. Petrusbrief hielt er für das einzige pseudonyme Werk im Neuen Testament. Er argumentierte ferner für starke Kontinuität zwischen dem historischen Jesus und Paulus, der eine seiner großen Forschungsinteressen in seiner Wiener Zeit bildete. In seiner 1910 erstmals erschienenen Theologie des Neuen Testaments sowie seiner umfassenden Paulusstudie aus dem Jahr 1927 grenzt sich Feine stark von der religionsgeschichtlichen Schule ab.
Der Jakobusbrief nach Lehranschauungen und Entstehungsverhältnissen untersucht, Eisenach 1893; Das gesetzfreie Leben des Paulus nach seinem Werdegang dargestellt, Leipzig 1899; Der Römerbrief. Eine exegetische Studie, Göttingen 1903; Paulus als Theologe, Berlin 1906; Bekehrung im Neuen Testament und in der Gegenwart, Leipzig 1908; Einleitung in das Neue Testament, 1913 (71935); Theologie des Neuen Testaments, Berlin 1911 (81951); Die Religion des Neuen Testaments, Leipzig 1921; Der Apostel Paulus. Das Ringen um das geschichtliche Verständnis des Paulus, BFChTh 2,12, Gütersloh 1927; Jesus, Gütersloh, 1930.
Richard Adolf Hoffmann
Richard Adolf Hoffmann
Richard Adolf Hoffmann (geb. 22.6.1872 in Königsberg, gest. 26.4.1948 in Wien) studierte Theologie in Königsberg und Halle. Er promovierte 1897 und arbeitete zunächst als Privatdozent an der Universität Königsberg. Ab 1907 war er außerordentlicher Professor in Wien, ab 1915 ordentlicher Professor bis zu seiner Emeritierung 1939. Seine Forschungsschwerpunkte waren u.a. das synoptische Problem, für das er eine literarische Abhängigkeit bestritt und die Urmarkushypothese vertrat, und das Selbstverständnis Jesu. Außergewöhnlich war sein Interesse für Parapsychologie, die er als Erklärung für die Wunder heranzog. Das brachte ihm die Spitznamen „Geisterhoffmann“ bzw. „Gespensterhoffmann“ ein. 1938, kurz vor seiner Emeritierung trat Hoffmann, der schon immer deutschnationale Positionen vertreten hatte, der NSDAP und den Deutschen Christen bei. Ab 1939 war er korrespondierender Mitarbeiter des Greifswalder „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses“. Mit seinen Beiträgen wollte er den christlichen Glauben mit dem Nationalsozialismus in Übereinstimmung bringen. Ungeachtet seines Engagements für die NSDAP durfte Hoffmann von 1946–1948 die Lehrstuhlvertretung für das Fach Neues Testament übernehmen.
Was versteht man unter wissenschaftlicher Bibelforschung, Königsberg 1897; Das Marcusevangelium und seine Quellen. Ein Beitrag zur Lösung der Urmarcusfrage, Königsberg 1904; Das Selbstbewußstsein Jesu nach den drei ersten Evangelien, Königsberg 1904; Die Erlösergedanken des geschichtlichen Christus, Königsberg 1911; Das Geheimnis der Auferstehung Jesu, Leipzig 1921; Das Gottesbild Jesu, Hamburg 1934; Der Glaubensbegriff des Neuen Testaments, Weimar 1938; Christentum und Nationalsozialismus, Eisenach 1941.
Gerhard Kittel
Gerhard Kittel
Gerhard Kittel (geb. 23.9.1888 in Breslau, gest. 11.7.1948 in Tübingen), Sohn des Alttestamentlers Rudolf Kittel (1853–1929), studierte Theologie und orientalische Sprachen in Leipzig, Tübingen, Berlin und Halle. Er promovierte 1913 an der Universität Kiel über „Die Oden Salomos“, wo er sich im Dezember desselben Jahres im Fach Neues Testament habilitierte. 1926 wurde Kittel nach Tübingen auf den Lehrstuhl Adolf Schlatters berufen, den er auch während seiner Tätigkeit in Wien (Sept. 1939–April 1943) innehatte. 1945 wurde er entlassen und von der französischen Besatzungsmacht in Tübingen verhaftet.
Heute ist Kittel vor allem bekannt als Begründer des monumentalen Theologischen Wörterbuches zum Neuen Testament (ThWNT), von dem er die ersten vier Bände herausgab. Kittel vertrat einen Forschungsansatz, der sich als Gegengewicht zur Religionsgeschichtlichen Schule verstand. Das frühe Christentum verortete er nicht im Einflussbereich der Hellenistischen Philosophien und Religionen, sondern ausschließlich im Umfeld des antiken „Spätjudentums“. Damit ging allerdings keine positive Bewertung des Judentums einher, vielmehr vertrat Kittel eine Substitutionstheologie und verstand das Neue Testament als durch und durch antijüdisches Dokument.
In der 1930er Jahren genoss Kittel hohes internationales Renommee wegen seiner Expertise auf dem Gebiet des antiken Judentums. 1939 war er Gründungsmitglied der Studiorum Novi Testamenti Socieats. Er war der erste Professor der Evangelisch-Theologischen Fakultät Wiens, der einen Assistenten – Heinz Zahrnt – bekam. Über berechtigte Kritik an der Grundkonzeption des ThWHT hinaus wurde Kittels Vermächtnis für die Nachwelt nachhaltig geschädigt durch sein Verhalten in der Zeit des Nationalsozialismus. Während er in früheren Aussagen noch gewisse Sympathien mit dem Judentum äußerte, entwickelte er ab 1933 einen verwissenschaftlichten, christlichen Antisemitismus. Ausgestattet mit sehr guten Kontakten zu führenden Nationalsozialisten prägte Kittel die Rassenpolitik maßgeblich durch zahlreiche Veröffentlichungen für die Forschungsabteilung „Judenfrage“ des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands, durch antisemitische Vorträge und Museumsaustellungen, u.a. auch in Wien.
Die Oden Salomos. Überarbeitet oder einheitlich?, BWAT 16, Leipzig 1914; Jesus und die Rabbinen, BZSF 9/7, Berlin-Lichterfelde 1914; Jesus als Seelsorger, Zeit- und Streitfragen des Glaubens, der Weltanschauung und der Bibelforschung 11/7, Berlin-Lichterfelde 1917; Rabbinica. Paulus im Talmud. Die ‚Macht‘ auf dem Haupte, Leipzig, Runde Zahlen, Arbeiten zur Religionsgeschichte des Urchristentums 1/3, Leipzig 1920; Jesus und die Juden, Stimmen aus der deutschen christlichen Studentenbewegung, 42, Berlin 1926; Die Probleme des palästinischen Spätjudentums und das Urchristentum; Stuttgart 1926; Der ‚historische‘ Jesus, Stimmen aus der deutschen christlichen Studentenbewegung 70, Berlin 1930 (21932); Die Religionsgeschichte und das Urchristentum, Gütersloh 1932; Die Judenfrage, Stuttgart 1933 (31934); Jesus Christus, Gottes Sohn und unser Herr, Wittenberger Reihe 7, Berlin 1937; Die historischen Voraussetzungen der jüdischen Rassenmischung, Schriften des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands 27, Hamburg 1939; (Zus. Mit Eugen Fischer) Das antike Weltjudentum. Tatsachen, Texte, Bilder, Forschungen zur Judenfrage 7 bzw. Schriften des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands 47), Hamburg 1943.
Gustav Stählin
Gustav Stählin
Gustav Stählin (geb. 28.2.1900 in Nürnberg, gest. 25.11.1985 in Mainz), Sohn des deutschen Altphilologen Otto Stählin, widmete sich nach Kriegsdienst und Einsatz beim berüchtigten deutschnationalen Freikorps Epp ab 1919 dem Studium der evangelischen Theologie und Altphilologie in Erlangen, Halle, Berlin und Tübingen. Nach der Promotion 1927 in Erlangen setzte er seine wissenschaftliche Karriere in Leipzig fort, wo er sich 1930 mit einem begriffsgeschichtlichen Werk zum Skandalon für das Fach Neues Testament habilitierte. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Dozent in Indien kehrte er 1939 nach Leipzig zurück, von wo aus er 1943 die Lehrstuhlvertretung im Fach Neues Testament an der Universität Wien übernahm. Seine Präsenz in Wien wurde allerdings schon bald durch seine Einberufung zum Kriegseinsatz beendet, gleichwohl er den Lehrstuhl offiziell bis 1945 vertrat. 1946 wurde er nach Erlangen berufen, 1952 ging er nach Mainz. In seiner Forschung arbeitete er bevorzugt im Bereich der Literarkritik und der Traditions-, Religions- und Zeitgeschichte. Diese Interessen schlagen sich auch in seinen Werken nieder, die neben seiner Dissertation noch einen Kommentar zur Apostelgeschichte sowie zahlreiche Artikel für das Theologische Wörterbuch zum Neuen Testament umfassen.
Skandalon, Untersuchung zur Geschichte eines biblischen Begriffs, Gütersloh 1930; Apostelgeschichte, NTD 5, Göttingen 1962 (71980); Mitarbeit an: Kittel, Friedrich und Friedrich, Gerhard (Hg.), Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933–1978; Verborum Veritas, FS Gustav Stählin, hg. v. O. Böcher u. K. Haacker, Wuppertal 1970.
Bo Reicke
Bo Reicke
Bo Reicke (geb. 31.7.1914 in Stockholm, gest. 17.5.1987 in Basel) studierte Altphilologie, Philosophie und Theologie in Stockholm. Er promovierte 1946 und kam für das Sommersemester 1948 nach dem Tod von Richard Hoffmann als Gastdozent für Neues Testament nach Wien. 1953 nahm er einen Ruf an die Universität Basel an, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1984 blieb. Die Schwerpunkte seiner Forschung bestimmten religions- und sozialgeschichtliche sowie philologische Interessen. Aus der großen Zahl seiner Publikationen sind u.a. seine Darstellung der Neutestamentlichen Zeitgeschichte, sein Kommentar zu dem Jakobus-, Judas- und Petrusbriefen und seine Herausgeberschaft des „Biblisch-Historischen Handwörterbuchs“ zu nennen.
The Disobedient Spirits and Christian Baptism, A study of 1 Petr III, 19 and its context, Kopenhagen 1946; Diakonie, Festfreude und Zelos in Verbindung mit der altchristlichen Agapenfeier, Uppsala 1951; The Epistles of James, Peter, and Jude. Introduction, translation and notes (AncB 37), Garden City N.Y. 1964; Neutestamentliche Zeitgeschichte. Die biblische Welt von 500 v. Chr. bis 100 n. Chr., Berlin 1965 (31982); Herausgeber des „Biblisch-Historisches Handwörterbuch“, 3 Bd., Göttingen 1962–1966 (31980).
Christian Maurer
Christian Maurer
Christian Maurer (geb. 30.4.1913 in Arosa, gest. 15.4.1992 in Bern) studierte Theologie in Zürich, Berlin und Basel u.a. bei Emil Brunner und Karl Barth. Im Anschluss an seine akademische Ausbildung arbeitete er von 1937 bis 1951 als Pfarrer in Beggingen und gehörte dem „Klettgauer Kränzchen“ an, einem Zusammenschluss junger, kritischer Theologen, die sich mit der Auslegung des Neuen Testaments im Angesicht des Nationalsozialismus befassten. Seine wissenschaftliche Karriere begann er 1941 mit seiner Dissertation zur paulinischen Gesetzeslehre, 1943 folgte ein Kommentar zum Galaterbrief. Nach seiner Bestellung zum Privatdozent an der Universität Zürich kam er 1949 als Gastdozent auf den noch immer vakanten neutestamentlichen Lehrstuhl in Wien. Nach einer kurzen Rückkehr ins Pfarramt wurde er 1954 als Professor an die Kirchliche Hochschule Bethel berufen, 1966 ging er nach Bern, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1978 blieb. Neben seinen neutestamentlichen Arbeiten war Maurer zeitlebens die tatkräftige Verbindung von akademischer Theologie mit den pastoralen, diakonischen und pädagogischen Aspekten kirchlichen Lebens ein zentrales Anliegen.
Die Gesetzeslehre des Paulus nach ihrem Ursprung und in ihrer Entfaltung dargelegt, Zürich 1941; Der Galaterbrief, Zürich 1943; Ignatius von Antiochien und das Johannesevangelium, Zürich 1949; Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Ein Grundproblem kritischer Theologie, München 1966.
Gottfried Fitzer
Gottfried Fitzer
Johann Gottfried Fitzer (geb. 3.5.1903 in Groß Besa, gest. 12.4.1997 in Winklern) wuchs in Breslau auf und studierte an der dortigen Universität sowie in Tübingen und Marburg u.a. bei Rudolf Bultmann. 1928 promovierte er bei Ernst Lohmeyer in Breslau, drei Jahre später erfolgte die Habilitation zum neutestamentlichen Begriff des Zeugen. Seine anschließende Tätigkeit als Privatdozent fand 1935 jedoch ein abruptes Ende, nachdem er als Mitglied der Bekennenden Kirche verhaftet wurde und seine Lehrbefugnis verlor. Die Kriegsjahre verbrachte er als Pfarrer in Schlesien, von wo er 1945 mitsamt seiner Gemeinde nach Bayern floh. 1949 führte ihn eine Gastprofessur nach Wien, wo er 1950 schließlich zum Ordinarius für Neutestamentliche Wissenschaft berufen wurde. In der Zeit bis zur Emeritierung 1973 brachte er sich aktiv in das kirchliche Leben Österreichs mit ein, z.B. in der Frage der Frauenordination und bei der Mitbegründung der Evangelischen Akademie. Neben seiner historischen Grundlagenforschung, die sich in seinen Beiträgen für das ThWNT und dem EWNT niederschlug, interessierte sich Fitzer insbesondere für die Zeitkonzeption des frühen Christentums. Dabei war ihm die Verknüpfung von Ergebnissen historisch-kritischer Exegese mit den Fragen der Philosophie ein Anliegen.
"Das Weib schweige in der Gemeinde", Über den unpaulinischen Charakter der mulier-taceat-Verse in 1. Korinther 14, München 1963; Was Luther wirklich sagte, Wien 1968 (ital. 1969); Gott ohne Eigenschaften? FS Gottfried Fitzer, hg. v. S. Heine u. E. Heintel, Wien 1983; Das Prinzip der Gemeinschaft, Theologisches Denken von Gottfried Fitzer, hg. v. K. Niederwimmer u. W. Pratscher, Wien 1994.
Kurt Niederwimmer (1929–2015)
Kurt Niederwimmer (1929–2015)
Der Wiener Kurt Niederwimmer (geb. 11.11.1929 in Wien, gest. 3.12.2015 in Wien), der von 1973–1997 den Lehrstuhl besetzte, promovierte 1956 bei G. Fitzer zur Theologie des Ignatius von Antiochien (ungedruckt) und blieb den Apostolischen Vätern auch später treu: Gemeinsam mit N. Brox begründete er die Reihe „Kommentar zu den Apostolischen Vätern“, zu der er den ersten Band über die Didache beitrug. Er habilitierte sich mit einer Arbeit über Freiheit im Neuen Testament, beschäftigte sich aber auch mit dem Ethos des frühen Christentums. Weitere Forschungsarbeiten der späteren Jahre widmeten sich der neutestamentlichen Theologie, der Hermeneutik und aristotelischen Philosophie sowie den Kirchenvätern. Mit dem Schweizer B. Studer initiierte er den Patristischen Kommentar zum Neuen Testament. Zudem wirkte er mit einem Jesus-Buch als Wegbereiter eine tiefenpsychologischen Interpretation des Neuen Testaments.
Niederwimmers besonderes Anliegen war es, die Brücke von philologischer und historischer Exegese zu Theologie und Kirche zu bauen. Dazu sollte die antike Philosophie, v.a. jene des Aristoteles, einen Weg bahnen, verbunden mit einem hermeneutischen Programm, das zwischen Intention und Vermittlung unterschied. Als begnadeter akademischer Lehrer prägte er Pfarrer und Pfarrerinnen und war über den engeren theologischen Kreis hoch angesehen.
Der Begriff der Freiheit im Neuen Testament, TBT 11, Berlin 1966; Jesus, Göttingen 1968; Askese und Mysterium. Über Ehe, Ehescheidung und Eheverzicht in den Anfängen des christlichen Glaubens, FRLANT 113, Göttingen 1975; Die Didache, KAV 1, Göttingen 19932 (engl. 1995); Quaestiones theologicae. Gesammelte Aufsätze, BZWN 90, Berlin/New York 1998; Theologie des Neuen Testaments. Ein Grundriss, Wien 20043; Die Kirche als historische und eschatologische Größe, FS Kurt Niederwimmer, hg. v. W. Partscher u. G. Sauer, Frankfurt/Main 1994.
Wilhelm Pratscher
Wilhelm Pratscher
Der Burgenländer Wilhelm Pratscher (geb. 15.8.1947 in Redlschlag) studierte in Wien, Erlangen und Heidelberg und promovierte bei G. Fitzer mit einer Arbeit zu Paulus, die die Historie unter den Blickwinkel der Theologie rückte. Sein Hauptforschungsgebiet wurde aber die Geschichte des frühen Christentums, v.a. jene der Spätzeit. Mit der Habilitationsschrift über den Herrenbruder Jakobus und die Jakobustradition (1985), die seinen Ruhm in der wissenschaftlichen Community begründete, legte er einen wichtigen Grundstein für die weitere Bearbeitung des Judenchristentums. Nach der Tätigkeit als Assistent bei Niederwimmer wurde Pratscher 1996 an die Universität Bonn berufen (Nachfolge Schrage), bevor er 1998 wieder nach Wien zurückkehrte und bis 2012 den Lehrstuhl innehatte. 2009 gelang es Pratscher, den Jahreskongress der Studiorum Novi Testamenti Societas nach Wien zu holen. Kennzeichen seiner Arbeit sind eine akribische Quellenbearbeitung und ein abgewogenes Urteil. Dem Christentum des 2. Jhd. widmet er sich auch weiterhin, u.a. mit einem Kommentar zum 2. Clemensbrief und mit Arbeiten zu Texten des 2. Jahrhunderts.
Die Geschichtsfunktion der Christusgemeinschaft bei Paulus, Diss. Wien 1973; Der Herrenbruder Jakobus und die Jakobustradition, FRLANT 139, Göttingen 1987; Der zweite Clemensbrief, KAV 3, Göttingen 2007; Die Apostolischen Väter (Hg.), Göttingen 2009 (engl. 2010); Kommentar zu Quadratus und Kerygma Petri (KfA 1; im Druck); Ein neues Geschlecht?; Entwicklung des frühchristlichen Selbstbewusstseins, FS Wilhelm Pratscher, hg. v. M. Lang, NTOA 105, Göttingen 2014.
Markus Öhler
Markus Öhler
Nach dem Studium in Wien arbeitete Öhler (geb. 5.4.1967 in Linz) zunächst als Assistent von K. Niederwimmer, bei dem er mit einer biblisch-theologischen Arbeit zu Elia promovierte. Nach einem Aufenthalt an der Universität Tübingen (1999–2001) habilitierte er sich in Wien und wurde ao. Professor. 2011 erfolgte die Beförderung zum Professor, seit 2012 ist er der Lehrstuhlinhaber. Die Habilitationsschrift über die Person des Barnabas motivierte ihn zu einer intensiveren Beschäftigung mit der Geschichte des frühen Christentums, dessen sozialer Ausgestaltung und Verankerung in der religiösen Welt des 1. Jahrhunderts. Dazu trat die Aufarbeitung der bisher in der neutestamentlichen Forschung unterschätzten Inschriften der griech.-röm. Antike. Neben Monographien und Forschungsprojekten zu diesen Themen hat sich ein Schwerpunkt in der Beschäftigung mit dem Römerbrief herausgebildet.
Elia im Neuen Testament. Untersuchungen zur Bedeutung des alttestamentlichen Propheten im frühen Christentum, BZNW 88, Berlin/New York 1997; Barnabas. Die historische Person und ihre Rezeption in der Apostelgeschichte, WUNT 156, Tübingen 2003; Barnabas. Der Mann in der Mitte, BG 12, Leipzig 2005 (ungar. 2007); Geschichte des frühen Christentums, UTB 4737, Göttingen 2018.
Die Geschichte und die gegenwärtige Situation
Forschung und daraus erwachsende Lehre zum Neuen Testament bzw. zum frühen Christentum waren in der wechselvollen Geschichte der Fakultät vor allem durch zwei Bewegungen geprägt: Zum einen, etwa durch das Wirken von P. Ewald, G. Fitzer und K. Niederwimmer, stand die theologische Durchdringung des neutestamentlichen Zeugnisses im Zentrum des Interesses, verbunden mit einer offenen Diskussion mit Dogmatik und Philosophie. So sollte die Theologie des Neuen Testaments in das Gesamte der Theologie eingebracht werden.
Zum anderen waren Forscher wie R. Knopf, P. Feine oder W. Pratscher in ihren Arbeiten vor allem daran interessiert, die Geschichte des frühen Christentums, das Werden des Neuen Testaments und die religions- sowie sozialgeschichtlichen Bedingungen dieser Geschichte zu rekonstruieren. So sollte die historische Dimension des Neuen Testaments in das Gesamte der Theologie eingebracht werden.
Doch keine dieser beiden Traditionen hat sich je von der anderen gelöst, als ob die Theologie des Neuen Testaments ohne geschichtliche Dimension und die Geschichte des frühen Christentums ohne theologische Implikationen sein könnte. Doch zugleich sind diese wechselnden Schwerpunkte innerhalb der Forschung und Lehre am Institut auch ein Spiegel der spezifischen Herausforderungen neutestamentlicher Wissenschaft, die sich in gleicher Weise als Re-Konstruktion des frühen Christentums und Teil des theologischen Diskurses versteht.
Gegenwärtig liegt das Schwergewicht der Forschung eher auf einer Rekonstruktion der Entstehung und Entwicklung des frühen Christentums bis in die Mitte des 2. Jahrhunderts, sowohl in sozialgeschichtlicher wie in religionsgeschichtlicher Hinsicht. Letzteres mit Blick auf die pagane Welt und auf das antike Judentum, gerade im Bewusstsein der auch an diesem Institut während des Nationalsozialismus eingeschlagenen Irrwege. Obwohl sich die gegenwärtigen Projekte auf das antike epigraphische oder papyrologische Material der griech.-röm. Antike bzw. des frühen Christentums konzentrieren sowie auf dessen soziale und religiöse Kontexte, so bilden hermeneutische und dezidiert theologische Arbeiten weiterhin den notwendigen Kontrapunkt. Beides geschieht in enger Kooperation mit unterschiedlichen Disziplinen der Theologie und der Geisteswissenschaften, im ökumenischen und weltweiten Dialog.